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Die 40-Stunden-Woche gehört ins Museum

Viele wünschen sich kürzere Arbeitszeiten. Aber wie sieht die Datenlage tatsächlich aus? Und was sind die Argumente für eine neue, gesunde Vollzeit?

Die gesetzliche Definition von Vollzeit stammt aus dem Jahr 1975 und ist damit 50 Jahre alt. Die Welt hat sich seitdem rasant verändert: Wo früher Produkte händisch, Stück um Stück zusammengesetzt wurden, laufen jetzt hochautomatisierte Fertigungsprozesse mit Robotern und KI-Lösungen.

AK Wien

In Folge hat sich auch die Produktivität pro Arbeitsstunde (= Arbeitsleistung pro Stunde) seit 1975 verdoppelt, wie diese Darstellung der Arbeiterkammer zeigt. An der gesetzlichen „Normalarbeitszeit“ hat sich hingegen seit einem halben Jahrhundert nichts verändert. Aber auch andere Gründe, wie verbesserte Gesundheit oder die gerechtere Verteilung von Arbeit sprechen eindeutig für eine kürzere, gesündere gesetzliche Normalarbeitszeit.

Siegeszug der 4-Tage-Woche

Nicht nur zahlreiche Branchen, in denen der Kollektivvertrag kürzere Arbeitszeiten vorsieht, sondern auch die Unternehmen, die eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich eingeführt haben, sind der Beweis: Kürzere Arbeitszeiten bedeuten nicht den Untergang der Wirtschaft. Im Gegenteil: Auch in Österreich gibt es bereits Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, die die 4-Tage-Woche erfolgreich umsetzen.

Auch die Evaluierung des Pilotprojekts zur 4-Tage-Woche in Großbritannien zeigt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motivierter und ausgeruhter sind und damit weniger Krankenstände anfallen und die Beschäftigten länger im Betrieb bleiben. 39 Prozent der rund 2.900 Beschäftigten in den 61 teilnehmenden Unternehmen aus verschiedenen Branchen etwa, waren weniger gestresst, 71 Prozent waren am Ende der 6-monatigen Pilotphase weniger Burn-Out gefährdet. 92 Prozent der Unternehmen blieben daraufhin bei der Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Pilotprojekte in anderen Ländern kamen zu ähnlich positiven Ergebnissen.

Zeit für eine gesunde Vollzeit

Seit der letzten gesetzlichen Verkürzung der Normalarbeitszeit hat sich nicht nur die Produktivität in Österreich verdoppelt, auch der Zeitstress (eine Kombination aus Zeitdruck1, ständigem Arbeitsdruck2, hoher Konzentration, Unterbrechung der Freizeit und klassischem Stress) ist enorm gestiegen. 59 Prozent der Beschäftigten gaben beim Arbeitsklima-Index im März 2024 an, durch Zeitstress belastet zu sein. Das wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus.

Arbeitsklima Index 2024

Beschäftigte mit Zeitstress haben deutlich häufiger Herzprobleme, Kreislaufbeschwerden, Kopfschmerzen, Verdauungsbeschwerden und Schlafstörungen. Auch die psychische Gesundheit leidet und das Burn-Out-Risiko steigt. Außerdem können sich viele belastete Beschäftigte nicht vorstellen, im jetzigen Beruf bis zur Pension durchzuhalten. Während immerhin 70 Prozent der Beschäftigten ohne Zeitdruck glauben, bis zur Pension durchzuhalten, sind es bei jenen mit Zeitdruck nur 48 Prozent.

Wieviel arbeiten wir in Österreich tatsächlich?

Die durchschnittliche Arbeitszeit lag in Österreich 2023 bei 33,6 Wochenstunden. Im Vergleich: der EU-Durchschnitt lag bei 36,1 Wochenstunden. Der Grund für die relativ niedrige Wochenarbeitszeit bei uns, ist die hohe Teilzeitquote (30,4 Prozent aller Beschäftigten). Rechnet man das heraus, liegen wir mit einer durchschnittlichen Vollzeit-Arbeitszeit von 38,7 Stunden etwa im Mittelfeld. Männer in Vollzeit arbeiten sogar 39,2 Stunden pro Woche, Frauen 37,7 Stunden.

Teilzeitquote von Frauen mit Kindern bei 69,2 Prozent

Die niedrige durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche liegt also an der hohen Teilzeitquote, vor allem jener von Frauen. In ganz Europa gibt es hier ein Gefälle zwischen Männern und Frauen, doch in Österreich ist der Unterschied extrem.

Eurostat

Erläuterung der Statistik: Teilzeitbeschäftigung der 20 bis 64-Jährigen, unterteilt nach Geschlecht und Land, 2023 (Roter Punkt = Teilzeitquote von Frauen, Gelber Punkt = Teilzeitquote von Männern, Blauber Punkt = Durchschnittliche Teilzeitquote).

Während 2023 im Durchschnitt der EU 17,1 Prozent aller Beschäftigten in Teilzeit arbeiteten, waren es in Österreich 30,4 Prozent. Getrennt nach Geschlecht arbeiteten 11,3 Prozent aller Männer in Teilzeit, dagegen aber 50,7 Prozent der Frauen. Bei Frauen mit Kindern arbeiteten sogar 69,2 Prozent in Teilzeit – ein absoluter Spitzenwert in ganz Europa.

Dabei arbeiten laut der Zweitverwendungsstudie der Statistik Austria von 2022 Frauen insgesamt mehr als Männer – nur eben unbezahlt. Generell ist die unbezahlte Sorgearbeit für Familie und Haushalt auch im 21. Jahrhundert Frauensache.

Gibt es einen Trend zu kürzeren Arbeitszeiten?

Diesen Trend gibt es. In den letzten zehn Jahren haben sowohl Männer als auch Frauen die Erwerbsarbeitszeit um durchschnittlich 54 Minuten verringert.

Arbeiterkammer Wien

Die Arbeiterkammer befragte online 4.700 Beschäftigte, welche Arbeitszeiten sie ideal fänden. Die meisten Arbeitnehmer:innen würden gerne 25 bis 35 Stunden pro Woche arbeiten. Doch die Realität zeigt: nicht alle können es sich "leisten". Das liegt einerseits an der Einkommenshöhe, andererseits an Stellung und damit Verhandlungsmacht oder an der Branche selbst.

Arbeitszeitreduktion im reichsten Einkommenszehntel
Momentum Institut

Wie an dieser Grafik aus dem Arbeitszeitreport des Momentum Institut zu sehen ist, ist eine Verkürzung der Arbeitszeit vorwiegend den besserverdienenden Beschäftigten vorbehalten. Personen im reichsten Einkommenszehntel haben seit 2014 ihre Arbeitszeit im Durchschnitt auch am stärksten reduziert. Sieht man sich die Gründe für Teilzeit an, so steht bei den Jüngeren eindeutig die Aus- und Weiterbildung im Vordergrund, während bei Frauen die Sorgearbeit der häufigste Grund ist. All diese Fakten deuten darauf hin, dass Wunsch und Wirklichkeit bei der Arbeitszeit oft auseinanderdriften. Während sich viele wünschen mehr zu arbeiten, damit sich die finanzielle Lage verbessert, dominiert bei Besserverdienern oft der Wunsch nach einer Verkürzung der Arbeitszeit. 

Warum ist eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung sinnvoll?

  • Entlastung der Arbeitnehmer:innen: Die Arbeitsbelastung ist in den letzten Jahren massiv gestiegen, und viele Beschäftigte leiden unter Stress und Burn-out. Eine Arbeitszeitverkürzung würde dazu beitragen, die Gesundheit und das Wohlbefinden zu verbessern und Krankenstände zu reduzieren.
  • Gerechtere Verteilung der Arbeit (und Einkommen): Eine Arbeitszeitverkürzung würde dazu beitragen, mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen und zu einer besseren Verteilung des Arbeitszeitausmaßes und damit auch der Einkommen führen.
  • Stärkung der Stellung von Frauen: Durch eine kürzere Vollzeit könnten auch mehr Frauen in Vollzeit arbeiten und wären so in der Pension besser abgesichert. Gleichzeitig würde eine kürzere Normalarbeitszeit das gleichwertige Übernehmen der Sorgearbeit begünstigen.
  • Höhere Produktivität und Stärkung der Wirtschaft: Studien zeigen, dass ausgeruhte und motivierte Mitarbeiter:innen produktiver sind und weniger oft krank werden. Außerdem führen kürzere Arbeitszeiten zu höherer Beschäftigung und einer starken Wirtschaft.

1 Unter Zeitdruck versteht man das Gefühl, dass die vorhandene Zeit für die Arbeit nicht ausreicht. Belastet sind Beschäftigte mit Zeitdruck nicht durch die Arbeit an sich, sondern durch die zu knappe Zeit, in der man die Arbeit verrichten muss.

2 Arbeitsdruck hingegen beschreibt die Arbeitsverdichtung, also das Gefühl, dass man ein erhöhtes Arbeitsvolumen in der gleichen Zeit wie vorher bewältigen muss und dadurch nicht mehr zum Verschnaufen kommt.