EU bringt Lieferkettenrichtlinie auf Schiene
Große Unternehmen sollen künftig Einhaltung von Umweltstandards und Arbeitnehmerrechten sicherstellen
Zum Jahresende 2023 hat die EU-Kommission noch ein starkes Signal an die Arbeitnehmer:innen in globalen Lieferketten gesendet: die EU-Sorgfaltspflichtrichtlinie, auch „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ genannt, soll große Unternehmen dazu verpflichten, die Einhaltung von grundlegenden Menschenrechten – und damit Arbeitnehmer:innenrechten – sowie Umweltauflagen entlang der Lieferkette für alle Produkte und Dienstleistungen zu überprüfen. Freiwillige Standards haben bisher nicht gewirkt, wie auch eine Studie der EU-Kommission selbst aus dem Jahr 2020 bestätigt. Nur ein Drittel der EU-Unternehmen führt tatsächlich Sorgfaltsprüfungen (Due Diligence) im Hinblick auf Menschenrechte, Umweltschutz und Arbeitsstandards in den Lieferketten durch. Die Folgen können fatal sein, wie unter anderem die Rana Plaza-Tragödie 2013 aufzeigte, bei der 1.200 Textilarbeiter:innen ihr Leben verloren.
Nach intensiven Verhandlungen erzielten die politischen Entscheidungsträger der EU nun eine historische politische Einigung über die erste europäische Sorgfaltspflichtrichtlinie. Die EU ist damit die erste Region der Welt mit verbindlichen, grenzüberschreitend geltenden Regeln, die große Unternehmen dazu verpflichten, die Einhaltung von Umweltstandards sowie Menschen-, Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechten entlang ihrer globalen Lieferketten sicherzustellen. Die neuen Regeln werden sowohl für europäische als auch für Unternehmen aus Drittstaaten gelten, wenn sie im EU-Binnenmarkt tätig sind. Dadurch sollen Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen vermieden werden. Auch für französische und deutsche Unternehmen, wo bereits Lieferkettengesetze gelten, werden damit Ausweichmöglichkeiten unterbunden.
Licht und Schatten
Von Wirtschafts- und Industrieverbänden kam lange Widerstand gegen verbindliche Regeln, die für alle Unternehmen in allen Branchen und auf allen Ebenen der Lieferkette gelten. Das Ergebnis ist daher ein Kompromiss mit wichtigen Fortschritten, aber auch erheblichen Schwächen. Große Unternehmen, die im EU-Binnenmarkt tätig sind, sowie kleinere Unternehmen in Hochrisikosektoren wie der Textilindustrie, der Landwirtschaft und dem Bergbau sind nun verpflichtet, alle (potenziellen) Schäden zu erkennen, zu verhindern und zu beheben, die ihre Geschäftstätigkeit und die ihrer Zulieferer für Menschen und Umwelt verursachen könnten. Die Verpflichtung für Unternehmen, einen Klimawendeplan zu verabschieden – die bereits in der Richtlinie zur nachhaltigen Berichterstattung vorgesehen ist – wurde durch eine zusätzliche Kontrollebene bestätigt, da die nationalen Behörden dessen Veröffentlichung und Einhaltung überwachen werden. Es besteht jedoch keine zivilrechtliche Haftung für die Nichteinhaltung von Dekarbonisierungsplänen. Ein weiterer großer Nachteil ist der Ausschluss des Finanzsektors von der Due-Diligence-Prüfung seiner Kunden.
Auch Arbeitnehmer:innen in der EU profitieren
Die politische Einigung muss nun in die technischen Begriffe einer Richtlinie übersetzt werden, die dann dem Europäischen Parlament und dem Rat zur Annahme vorgelegt wird. Nach ihrer formellen Verabschiedung wird die neue Richtlinie voraussichtlich im ersten Quartal 2024 im Amtsblatt der EU veröffentlicht, dann kann auch eine detailliertere Analyse der Richtlinie erfolgen. Auch wenn die Einigung nicht so ehrgeizig ist, wie sie hätte sein sollen, markiert sie doch die ersten Schritte, um multinationale Unternehmen in die Pflicht zu nehmen.
Eine im Auftrag der AK durchgeführte Studie bestätigt, dass das neue europäische Lieferkettengesetz einen deutlich positiven wirtschaftlichen Wohlfahrtseffekt für den Globalen Süden und positive Nettoeffekte für die europäische Wirtschaft haben wird. Tendenziell stärkt eine verbindliche Sorgfaltspflicht die Position der Arbeitnehmer: innen nicht nur im Globalen Süden, sondern auch in der Europäischen Union.