Interview
"Kürzere Arbeitszeiten werden uns nicht geschenkt"
Barbara Blaha ist überzeugt: Arbeitszeit, Vermögen und Gleichberechtigung müssen zusammen gedacht werden. Wirtschaftspolitik wird aber von den Interessen der Mächtigen geprägt. Was sich ändern muss und warum, erklärt die Gründerin des Wirtschaftsforschungsinstituts Momentum im Interview.
Am Arbeitsmarkt werden Fachkräfte gesucht. Gleichzeitig haben viele Arbeitnehmer:innen den Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten. Kann das zusammenkommen?
Barbara Blaha: Als Arbeitgeber ist der richtige Zeitpunkt für eine Arbeitszeitverkürzung: nie. Schon vor hundert Jahren, als wir die Wochenarbeitszeit von 66 auf 48 Stunden gesenkt haben, haben die Arbeitgeber den wirtschaftlichen Untergang prophezeit. Passiert ist das Gegenteil. Wir sind noch produktiver geworden. Trotzdem mussten die Arbeitnehmer:innen um eine kürzere Arbeitszeit immer heftig kämpfen. Geschenkt wird sie uns nicht. Auf den nächsten Sprung nach unten bei der Arbeitszeit müssen wir nun seit 40 Jahren warten. An Arbeitskraft mangelt es uns nicht: Auf 335.000 Arbeitsuchende kommen 113.000 offene Stellen, also rund drei Erwerbsarbeitslose pro Stelle. Verteilen wir die Arbeitszeit doch auch auf diese Schultern. Bleibt eine Stelle unbesetzt, fehlen oft nicht die Arbeitnehmer:innen, sondern faire Rahmenbedingungen: Die Bezahlung ist schlecht, Schichtarbeit ist mit Kindern schwer vereinbar oder die Arbeit ist so anstrengend, dass man sie einfach nicht sein Leben lang oder mit 40 Wochenstunden schafft. Hier müssen wir ansetzen: Anstrengende Jobs schaffe ich länger, wenn ich sie weniger Stunden in der Woche stemmen muss. Schichtzeiten lassen sich anders verteilen, wenn Schichten kürzer sind. Wenn wir faire Arbeitsbedingungen schaffen, dann ist es auch nicht schwer, Jobs zu besetzen.
Die Debatte um Arbeitszeit ist im Grunde eine um Verteilung. Das Gleiche gilt für Vermögen oder Gleichberechtigung. Warum gibt es da in Österreich noch so viel Aufholbedarf?
Arbeitszeit, Vermögen und Gleichberechtigung müssen wir zusammen denken: Eine kürzere Arbeitswoche hilft den Familien im Land. Arbeitszeitverkürzung kann auch als Motor für Geschlechtergerechtigkeit dienen. Der Arbeitsmarkt basiert auf dem Modell der 1950er-Jahre. Papa bringt das Geld heim, Mama schupft Kinder und Haushalt. Heute verdient die Frau immer noch nur in Teilzeit dazu. In der Pension rächt sich das bitter, den Preis zahlen die Frauen dann mit Altersarmut. Reduzieren wir die Arbeitszeit auf 30 Stunden, dann können auch Frauen in "neuer" Vollzeit arbeiten. Zahlen sie mehr ein, stehen sie später nicht mit einer mickrigen Pension da. Arbeiten die Väter weniger, haben sie mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit. Schauen wir uns noch an, wer aktuell schon auf eigene Faust die Arbeitszeit reduziert. Die Daten zeigen uns: alle, die es sich leisten können – die Bestverdiener:innen im Land. Überraschend ist das wenig, immerhin muss man sehr gut verdienen, damit man auch mit weniger Stunden sein Leben zahlen kann. Wer für Vollzeitarbeit nur 1.500 Euro bekommt, kann nicht in Teilzeit gehen. Dann bleibt zum Leben nichts mehr über. Es ist dringend an der Zeit, den Fortschritt, den wir in der Produktivität in den letzten Jahrzehnten geschafft haben, auch an die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen weiterzugeben. Wir sind es schließlich, die ihn erarbeitet haben.
Arbeitszeitverkürzung kann auch als Motor für Geschlechtergerechtigkeit dienen.
Apropos zusammenpassen: Wie sieht es mit Industrie und Klimaschutz aus? Ist das aus Ihrer Sicht vereinbar?
Die Klimakrise erfordert eine grundlegende Umstrukturierung unserer Welt. Vielen Arbeiter:innen in der Industrie macht das verständlicherweise Angst. Niemand will um seinen Job fürchten. Es ist die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass es hier Sicherheit und Orientierung gibt – innerhalb unserer planetaren Grenzen. Dazu braucht es erstens Investitionen, um bereits vorhandene Lösungen auch auszurollen. Gibt es klimafreundlichere Produktionswege, müssen wir dafür sorgen, dass sie die Industrie auch anwendet. Zum Beispiel elektrische Hochöfen statt mit Kohle oder Gas betriebene. Da, wo Lösungen fehlen, braucht es mehr Forschung in neue Produktionsprozesse. Klar ist aber auch: Nicht immer wird es (technologische) Lösungen geben. Zwei Dinge sind deshalb zentral: Wir brauchen Jobgarantien und Arbeitsstiftungen. Niemand soll zurückbleiben. Wer in der Automobilindustrie seinen Job verliert, könnte beispielsweise künftig einen Job beim Schienenfahrzeugbau finden. Zweitens braucht es die Einbindung der Betroffenen. Das kann gelingen, indem die Geschäftsführungen die Betriebsräte beim Ausarbeiten der Umbaupläne beteiligen.
Abschließend noch eine Frage zu dem von Ihnen vor vier Jahren gegründeten Momentum Institut: Warum braucht es noch ein Wirtschaftsforschungsinstitut in Österreich?
Mit Wirtschaftsforschung wird in Österreich Politik gemacht. Was die Wirtschaftsexpert:innen als Problem geißeln, das muss die Politik dann „lösen“. Ein Beispiel: Wenn wir dauernd hören, dass Staatsschulden pfui sind, dann glauben wir das irgendwann. Wird schon stimmen, steht ja dauernd in der Zeitung. Nun hängen die meisten Institute am Tropf von Industrie, Wirtschaft, Versicherungen oder Finanzministerium. Die Folge: Die Interessen der Wirtschaft, der Arbeitgeber werden gepusht. Wir finden, Wirtschaft muss für alle funktionieren. Wir betrachten daher alle Fragen immer aus der Perspektive derer, die keine drei Eigentumswohnungen oder ein Aktiendepot haben. Was verbessert deren Leben? Das ist es, was uns interessiert. Das ist es, wofür Momentum kämpft.