Zum Hauptinhalt wechseln
PRO-GE

Zukunft der Produktion

Automobilindustrie im Wandel

Die große Transformation aus gewerkschaftlicher Perspektive.

Mittel- und Zentraleuropa ist Auto(industrie)region: Vorwiegend deutsche Autohersteller haben in den letzten Jahrzenten hier das "Detroit des Ostens" in die Höhe gezogen. So ist beispielsweise Volkswagen der größte private Arbeitgeber in der Slowakei und, Konzerntochter Skoda eingerechnet, der zweitgrößte in der Tschechischen Republik. In Österreich ist die Fahrzeug- und Zulieferindustrie nicht gar so dominant, mit rund 80.000 Beschäftigten aber dennoch eine der bedeutendsten Industriesparten. Angesichts der anstehenden riesigen Herausforderungen für die Branche lud die PRO-GE daher 120 GewerkschaftsvertreterInnen und BetriebsrätInnen aus Österreich, der Slowakei, Slowenien, Ungarn, der Tschechischen Republik und Bayern Anfang November 2021 zur Automobilkonferenz "Moving forward", teils virtuell, teils vor Ort in Wien, ein.

Abhängig von Konzernentscheidungen

Die österreichische Autoindustrie ist – mit wenigen Ausnahmen – eine Zulieferindustrie. 87 Prozent der Produkte werden exportiert, mehr als die Hälfte davon nach Deutschland. Es besteht also eine starke Abhängigkeit von der deutschen Autoindustrie. Zusätzlich arbeiten 65 Prozent der Beschäftigten in der Autoindustrie in Tochterunternehmen mit Hauptsitz im Ausland. Konzernzentralen und damit auch wesentliche Entscheidungskompetenzen liegen meist außerhalb Österreichs. Das Beispiel MAN Steyr verdeutlicht die resultierenden Probleme. In unseren östlichen Nachbarländern ist die Abhängigkeit allerdings noch weitaus größer, wie Jan Drahokoupil, Experte des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (ETUI) mit Zahlen belegt: Slowakei, Ungarn und die Tschechische Republik bilden das Top-Trio im Ranking der Ländern mit der höchsten Fremdkontrolle der Wirtschaft. Gleichzeitig hängt fast die Hälfte der Industrieproduktion der Slowakei und rund ein Viertel in der Tschechischen Republik von der Automobilindustrie ab.

Herausforderung Elektromobilität

Die Automobilindustrie ist gleich in mehrfacher Hinsicht vom aktuellen Strukturwandel betroffen. Schließlich sorgt nicht nur die Herstellung von Kraftfahrzeugen für Emissionen, sondern auch das fertige Auto im täglichen Gebrauch. Praktisch alle Hersteller verfolgen daher hochambitionierte Pläne zur vollständigen Umstellung auf Elektromobilität in naher Zukunft. „Wir erleben das Hochlaufen der Elektromobilität, und das ist aus unserer Sicht auch unumkehrbar“, stellt Christian Brunkhorst fest, der im Vorstand der deutschen IG Metall für den Bereich Fahrzeugbau zuständig ist. Jeder vierte Arbeitsplatz im Fahrzeugbau fertigt und montiert Komponenten des Antriebsstrangs und ist damit direkt betroffen. Bleibt das Wachstum am Markt aus oder finden die Investitionen für die Elektromobilität woanders statt, sind bis zu 50 Prozent der Arbeitsplätze gefährdet, schätzt Brunkhorst.

Öffentliche Förderung nicht ohne Standortsicherung

Zu den wichtigsten Gegenmaßnahmen zählt Brunkhorst Investitionen in neue Technologien, in die Standorte und in die Qualifizierung der Menschen. Neue Wertschöpfung entsteht z.B. in der Fertigung von Batteriezellen. Aus gewerkschaftlicher Sicht von größter Bedeutung ist, für diese neuen Produktionen Tarifbindung aufzubauen. Und: Staatliche Förderung muss an Sicherung von Standorten und Beschäftigung geknüpft werden. Eine Forderung, die Andreas Brich, Betriebsratsvorsitzender von BMW in Steyr, noch weiter präzisiert: „Das muss über simple Standortgarantien hinausgehen und die Beschäftigung nicht nur quantitativ sichern, sondern auch die qualitativen und die arbeitsrechtlichen Bedingungen miteinbeziehen – dass zum Beispiel keine vermeintlich ‚teuren‘ Stammarbeitskräfte durch ‚billige‘ Leiharbeit oder gar Fremdfirmeneinsätze ersetzt werden.“

Technologie-Neutralität nicht aus den Augen verlieren

Nicht nur in Österreich sorgt allerdings immer noch der Verbrennungsmotor für den Löwenanteil an der Produktion, und die Transformation zum Elektroantrieb wird von den BetriebsrätInnen zwar als unausweichlich, aber nicht unkritisch betrachtet. „Wenn nur noch Elektrofahrzeuge unterwegs sind, aber der Strom dafür nicht aus nachhaltigen und CO2-neutralen Quellen kommt, haben wir nicht viel gewonnen“, meint BMW-Betriebsrat Brich. „Ein Verbrennerverbot ist zu kurz gedacht. Jede Technologie muss als Gesamtpaket rein nach dem Beitrag auf dem Weg zur CO2-Neutralität beurteilt werden.“ Die E-Mobilität wird als Lösung nur bestehen können, wenn nicht nur in die Ladeinfrastruktur, sondern auch in erneuerbare Energien noch massiv investiert wird.

Die Lehren aus der Halbleiterkrise

Und schließlich verändern Digitalisierung und Automatisierung nicht nur den Herstellungsprozess, sondern auch die Fahrzeuge selbst. Nichts geht mehr ohne Mikrochips – kein Motor, kein Tacho, keines der intelligenten Assistenzsysteme funktioniert ohne die Mini-Elektronikteile. Der Mangel an Halbleitern und Mikrochips während der Pandemie machte die Abhängigkeit der Branche und des Wirtschaftsstandortes Europa offensichtlich. Für die TeilnehmerInnen der Konferenz ist daher klar: Europa muss eine Versorgung mit Halbleitern, Batterien und Batteriezellen aus eigener Produktion aufbauen. Um die ökologischen Auswirkungen zu minimieren, sollte dabei durch umfassendes Recycling auf eine Kreislaufwirtschaft in der automobilen Wertschöpfungskette abgezielt werden.

Ohne Mitbestimmung keine faire Transformation

Für die Gewerkschaften steht allerdings fest, wo die Kernbereiche für eine sozial verträgliche Transformation bestehen. Das wäre zum einen eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsoffensive, die für jede betroffene Arbeitnehmerin und jeden betroffenen Arbeitnehmer eine Lösung findet und mit einem personalisierten Ansatz einen reibungslosen Übergang zu einem neuen Arbeitsplatz gewährleistet. Zum anderen werden vor allem die Einbindung und Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entscheidende Voraussetzungen für ein Gelingen der Transformation sein.