Interview
Eine Behindertenvertrauensperson ist ein Schatz
Wusstest du, dass es in den Betrieben der PRO-GE 115 „Schätze“ gibt? So viele Behindertenvertrauenspersonen (BVP) gibt es nämlich, und sie leisten Unglaubliches – vieles davon in ihrer Freizeit. Sie setzen sich für die Belange ihrer Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung ein, sensibilisieren die Unternehmen, unterstützen aber auch jene Beschäftigten, die plötzlich mit einer länger dauernden Erkrankung konfrontiert sind. Wir haben mit erfahrenen BVPs und Betriebsräten über ihre Arbeit, Herausforderungen und Erfolge gesprochen.
Unsere Interviewpartner:
- Gerhard Gabauer ist Gründer und Vorsitzender des Funktionsforums "Arbeiten mit Beeinträchtigung" im ÖGB Oberösterreich und hat gewerkschaftliche Bildungsangebote zum Thema BVP maßgeblich entwickelt. Er ist außerdem selbst langjährige Behindertenvertrauensperson und Betriebsratsvorsitzender bei Tannpapier GmbH.
- Christian Altendorfer ist langjährig Behindertenvertauensperson und Betriebsratsmitglied bei Rosenbauer International in Leonding und Mitglied im Funktionsforum OÖ.
- Wolfgang Hirscher ist Vorsitzender der Landesbildung der PRO-GE Oberösterreich und stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei BMW Steyr.
- Andreas Sexlinger ist Arbeitstechniker und stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Rosenbauer.
Frage "Glück auf!": In Oberösterreich gab es im letzten Jahr einen Bildungsschwerpunkt zum Thema Behindertenvertrauensperson. Warum war das wichtig?
Wolfgang Hirscher: Weil es schlicht an Wissen zu der Thematik fehlt. Sogar Betriebsratsvorsitzende von großen Firmen wissen oft nicht genau, was sie mit einer Behindertenvertrauensperson (BVP) anfangen sollen. Dabei sind sie eine enorme Bereicherung! Unser Ziel war, dass nach den Schulungen alle rausgehen und sagen: „Wir brauchen sofort eine Behindertenvertrauensperson bei uns im Betrieb!“
Viele Betriebsrät:innen wissen nicht, was sie mit einer Behindertenvertrauensperson anfangen sollen. Das muss sich ändern.“
Was sind denn diese Vorteile?
Gerhard Gabauer: Eine BVP nimmt der Betriebsratskörperschaft viel Arbeit ab und ist extrem wichtig für die Betroffenen. Denn für viele ist es schlichtweg überfordernd, sich neben der Krankheit auch noch mit der Verwaltung auseinanderzusetzen. Wir beraten sie und unterstützen zum Beispiel, den Antrag für den Status „begünstigt behindert“ zu stellen. Wir können auf ein gutes Netzwerk zurückgreifen und nehmen für die Betroffenen so sehr viel Druck und Stress raus. Wir versuchen auch, die Scham oder Angst vor Stigmatisierung zu nehmen, wenn es darum geht, plötzlich offiziell „behindert“ zu sein. Der Status „begünstigt behindert“ erleichtert das Arbeitsleben für die Betroffenen etwas.
Ich bin BVP geworden, weil ich selbst Aussetzverträge erleben musste, als ich krank wurde, und ich der Meinung bin, dass das niemand durchmachen soll.“
Was sind die Unterschiede für die Beschäftigten zwischen Betrieben mit oder ohne BVP?
Christian Altendorfer: Eine BVP vertritt die Interessen von Arbeitnehmer:innen mit Behinderung. Sie ist auch wichtig bei Präventionsmaßnahmen und aus meiner Sicht vor allem bei der Rückkehr aus einem längeren Krankenstand. Deshalb habe ich mich bei uns auch für das Betriebliche Eingliederungsmanagement stark gemacht, das seit 2017 etabliert ist. Alle drei Wochen beraten wir intern – jemand aus der Personalabteilung, je ein Betriebsrat der Angestellten und Arbeiter:innen und ich als BVP –, ob jemand schon länger im Krankenstand ist und unsere Hilfe brauchen könnte. Dann nehmen wir Kontakt auf. Nicht, weil wir Druck ausüben wollen. Wir fragen: „Was brauchst du? Wie können wir helfen, damit du wieder in den Betrieb zurückkehren kannst?“
Beim Eingliederungsmanagement bei Rosenbauer fragen wir: Was brauchst du, damit du wieder in den Betrieb zurückkehren kannst?“
Welche Anreize gibt es für Betriebe, um Menschen mit Behinderung einzustellen?
Altendorfer: An erster Stelle stehen sicher die Förderungen, Steuervorteile und das Ersparen der Ausgleichstaxe. Aber letztlich muss sich eine Firma auch die Frage stellen, ob es auf so viel Potenzial freiwillig verzichtet. Einerseits indem sie durch Abgänge bei Krankheit Know-how für immer verliert, oder weil Fachkräfte mit Behinderung von vornherein beim Recruiting ausgeschlossen werden.
Andreas Sexlinger: Neben den Förderungen gibt es auch Beratungen für Unternehmen. Zum Beispiel kam jemand vom „Netzwerk Berufliche Assistenz“ in den Betrieb, hat die Arbeitsplätze analysiert und festgestellt, dass sehr viele für Menschen mit Behinderung geeignet wären. Als Arbeitstechniker fand ich das sehr interessant. Generell versuchen wir, die Arbeitsplätze so einzurichten, dass dort alle gut arbeiten können. Erst kürzlich ist uns das durch die ergonomische Adaption der Dachaufbaumontage gelungen. Aber natürlich kommt es auf die Haltung der Firma an, ob das möglich ist oder nicht. Gleichzeitig profitiert ein Unternehmen von solchen Maßnahmen – personell und finanziell.
Natürlich kommt es auf die Haltung der Firma an, ob Inklusion möglich ist oder nicht. Gleichzeitig profitiert ein Unternehmen auch davon – finanziell und personell.“
Wenn ihr einen Wunsch frei hättet, welcher wäre das?
Gabauer: Ein besonderes Anliegen ist mir, dass Menschen mit Behinderung an ihren Fähigkeiten und Potenzialen und nicht an ihrer Behinderung gemessen werden.
Hirscher: Ich würde mir wünschen, dass jede Betriebsratskörperschaft die Vorteile einer BVP kennt und es in jedem Betrieb eine solche gibt.
Altendorfer: Mein Wunsch wäre es, dass sich mehr Firmen dem Thema Inklusion stellen und mehr Menschen in Beschäftigung bleiben.
Sexlinger: Ich fände es wichtig, dass BVPs nicht erst ab 150 Beschäftigten freigestellt werden, denn der Aufwand ist groß.