Inklusion am Arbeitsmarkt
Was heißt hier "begünstigt"?
Menschen mit Behinderung oder Erkrankung haben es am Arbeitsmarkt nicht einfach. Dabei gibt es viele Vorteile, sie zu beschäftigen. Behindertenvertrauenspersonen kümmern sich um ihre Anliegen, leisten aber auch viel Basisarbeit, indem sie Bewusstsein für Inklusion schaffen und den Fokus auf die Stärken und Kompetenzen von Menschen mit Behinderung richten. Wir waren bei der Firma Rosenbauer in Leonding und haben uns angesehen, wie Inklusion in einem Produktionsbetrieb gelingen kann.
Martin Pumm arbeitet seit einem Jahr in der Feuerwehrgerätefabrik der Firma Rosenbauer in Leonding. Zuvor war der 45-jährige Karosseriespengler bei MAN in Steyr beschäftigt. Obwohl auch in Oberösterreich Fachkräfte gesucht werden, war es nicht ganz einfach, dass er den Job bekommt. Denn Pumm ist gehörlos. „Ich bin nach Linz gezogen, weil hier die Community größer ist“, erzählt er. „Viele glauben, Menschen, die nichts hören, seien dumm,“ ärgert er sich zu Recht. Schließlich musste er damals das gesamte erste Lehrjahr ohne Dolmetsch absolvieren.
„Sollte in jedem Betrieb eine Behindertenvertrauensperson geben.“
„Ich freue mich, dass Martin bei uns arbeitet. Er ist sehr kompetent“, erzählt Christian Altendorfer, Behindertenvertrauensperson, kurz BVP, und Betriebsratsmitglied. Mit zwei weiteren BVPs vertritt er die Interessen der 50 Kolleg:innen mit dem Status „begünstigt behindert“ (siehe Kasten unten) am Standort Leonding, wo insgesamt 1.400 Beschäftigte arbeiten. „Meistens ist für inklusive Maßnahmen, Geld ein gewichtiges Argument“, erzählt Altendorfer. Denn Unternehmen bekommen Förderungen und ersparen sich die sogenannte Ausgleichstaxe (siehe Kasten unten), wenn sie die Beschäftigungspflicht erfüllen. „Dabei geht es schnell um relevant hohe Beträge“, erklärt Altendorfer. Noch wichtiger wäre ihm aber, dass es in jedem Betrieb eine BVP gibt. „Mit ihr beginnt in Unternehmen oft erst die Bewusstseinsbildung“, weiß er aus Erfahrung.
Was heißt „begünstigt behindert“?
Stellt das Sozialministeriumsservice einen Grad der Behinderung von 50 % oder höher fest, bekommt man den Status „begünstigt behindert“. Das bedeutet für die Betroffenen einen erhöhten Kündigungsschutz, Förderungen im beruflichen Bereich und Zusatzurlaub, wenn das im Kollektivvertag oder in einer Betriebsvereinbarung steht. Bereits ab einem Grad der Behinderung von 25 % kann man steuerliche Vorteile geltend machen.
Was ist die Ausgleichstaxe?
In Österreich gibt es die Beschäftigungspflicht. Jede Firma muss pro 25 Beschäftigten mindestens einen Menschen mit dem Status „begünstigt behindert“ einstellen. Tut sie das nicht, muss sie eine monatliche Ausgleichstaxe pro nicht besetzter Stelle zahlen (derzeit zwischen 335 bis 499 Euro).
Erfüllen Arbeitgeber die Beschäftigungspflicht bekommen auch sie Förderungen, Steuervorteile und die Zahlung der Ausgleichstaxe entfällt.
Ein Viertel aller Menschen gesundheitlich eingeschränkt
Doch wie steht es generell um die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung in Österreich? So einfach die Frage, so schwierig ist die Antwort. In einem dreiteiligen Bericht unterscheidet Statistik Austria, wer zum Kreis der Menschen mit Behinderung zu zählen ist, nach Fremdzuschreibung oder Selbsteinschätzung. Bei rund 760.000 Menschen scheint irgendwo im System eine Behinderung auf. Sie beziehen Pflegegeld und/oder besitzen einen Behindertenpass, haben den Status „begünstigt behindert“ oder weisen einen festgestellten Grad der Behinderung von weniger als 50 % auf. Von ihnen sind 282.319 Personen zwischen 15 und 65 Jahre alt. Nur 113.429 Personen, also 40,2 % von ihnen sind erwerbstätig. Rund 7 % sind arbeitslos gemeldet. Zum Vergleich: Die Erwerbstätigenquote aller Personen im erwerbsfähigen Alter liegt bei 74,2 %.
Noch niedriger ist die Quote bei jenen, die von sich selbst sagen, bei Aktivitäten des Alltagslebens seit mindestens sechs Monaten gesundheitsbedingt etwas oder stark eingeschränkt zu sein. Insgesamt sind das 1.887.200 Personen, was einem Viertel aller 15 bis 89-Jährigen entspricht. 571.300 dieser Personen geben an, „stark“ eingeschränkt zu sein. Von den 15 bis 65-Jährigen sind hier nur 27,9 % erwerbstätig. Bei jenen, die sich „etwas“ eingeschränkt fühlen, liegt die Erwerbstätigenquote bei 65,1 %.
Die Datenlage über Menschen mit Behinderungen in Österreich
Alle hier angeführten Daten stammen aus den drei Berichten der Statistik Austria „Menschen mit Behinderungen in Österreich“ (Datenlage zum 31.12.2022). Sie sind das Ergebnis des Pilotprojekts zum Aufbau einer Dateninfrastruktur für regelmäßige Statistiken über Behinderung und Teilhabe, das 2023 vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in Auftrag gegeben wurde.
Die Ergebnisse stellen den ersten Datensatz zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen in Österreich dar. Sie sollen künftig die Basis für gezielte und wissensbasierte Planung weiterer Verbesserungsschritte sein.
Menschen mit Behinderungen in Österreich I
Aussetzverträge und Kündigungen
In Sachen Inklusion am (ersten) Arbeitsmarkt gibt es also in Österreich noch ordentlich Luft nach oben. Der Grund dafür dürfte ein Mix aus fehlendem Wissen, mangelndem Willen oder Desinteresse sein. Schon die Bezeichnung „begünstigt behindert“ ist irreführend, weil er einen Vorteil suggeriert, der maximal ein gewisser Nachteilsausgleich ist.
„Viele Firmen denken gar nicht an die Möglichkeit, Menschen mit Behinderung einzustellen“, erklärt Gerhard Gabauer (Bild oben), selbst langjährig BVP und Gründer und Vorsitzender des Funktionsforum „Arbeiten mit Beeinträchtigung“ im ÖGB Oberösterreich – einem österreichweit einzigartigen Gremium. Sie würden die Ausgleichstaxe wie eine Steuer budgetieren. In seiner Laufbahn hat Gabauer schon zahlreichen Menschen geholfen aber auch schon viel Unschönes erlebt. Oft versuchen Firmen länger krank gemeldete Beschäftigte möglichst schnell loszuwerden. Sie werden zu Aussetzverträgen genötigt oder gleich gekündigt. Druck komme oft auch von den Kolleg:innen im Betrieb, wo durch Ausfälle der Arbeitsdruck steigt.
Was heißt eigentlich Behinderung?
Es gibt keine allgemeingültige oder rechtsverbindliche Definition von Behinderung. Es setzt sich aber - auch international - zunehmend eine „soziale“ Definition von Behinderung durch. Demnach zeichnet sich Behinderung weniger durch individuelle Eigenschaften wie zum Beispiel körperliche Beeinträchtigungen aus, sondern vielmehr durch Barrieren in der Umwelt und durch negative Einstellungen bei den Mitmenschen. Diese verhindern, dass Menschen mit Beeinträchtigungen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Kurz: Man ist nicht behindert, man wird behindert.
Wie soll man Menschen mit Behinderung nennen?
Es gibt zwar keine Bezeichnung, auf die sich alle Betroffenen und (Selbst-)Vertretungen geeinigt haben. Ein grundlegendes Prinzip ist aber, Menschen nicht auf ihre Behinderung zu reduzieren. Anstatt von „Behinderten“ zu sprechen, wird oft die Formulierung „Menschen mit Behinderung“ bevorzugt. Diese „person-first“-Sprache stellt die Person in den Mittelpunkt und nicht ihre Einschränkung.
Einige Beispiele für respektvolle Bezeichnungen:
- Menschen mit Sehbehinderung statt „Blinde“
- Menschen im Rollstuhl statt „Rollstuhlfahrer“ oder „an den Rollstuhl gefesselt“
- Menschen mit Lernschwierigkeiten oder mit kognitiver Beeinträchtigung statt „geistig behindert“
Erfolgsstory
Dass es auch anders gehen kann, zeigt die Erfahrung bei Rosenbauer. „Wir bemühen uns im Betrieb, Fachkräfte zu halten und neue auch im Kreis der ‚begünstigt behinderten‘ Personen zu finden“, erklärt Altendorfer. Das von ihm angestoßene „Betriebliche Eingliederungsmanagement“ ist seit vielen Jahren ein etabliertes Angebot an alle Beschäftigten, beim Wiedereinstieg nach längerem Krankenstand begleitet und unterstützt zu werden. Wenn nötig, wird auch ein anderer Arbeitsplatz gesucht. Die Arbeit der BVP ist dabei wesentlich. Altendorfer verweist zusätzlich auf die besondere Rolle von Führungskräften. Sie sollten besser im Umgang mit Menschen mit Behinderung geschult werden. „Ich würde mich freuen, wenn mehr Unternehmen die Potentiale von Menschen mit Behinderung erkennen würden“, so Altendorfer. Und was steht als nächstes auf der langen To-Do-Liste der BVP bei Rosenbauer? „Die Lebensgefährtin von Martin möchte auch bei uns anfangen. Das loten wir gerade aus. Sie ist Facharbeiterin und ebenfalls gehörlos“, erzählt Altendorfer.